Diese überlebensgroße Flügelfigur des Leipziger Künstlers André Böhme ist am Vorbild der Nike orientiert, der Siegesgöttin aus der griechischen Mythologie, deren berühmteste antike Fassung mit der „Nike von Samothrake“ im Pariser Louvre überliefert ist. Als Symbolfigur war sie Verkünderin von Sieg und Frieden und erlebte zahlreiche Nachbildungen. Ein Gipsabguss stand in der HGB in Leipzig, wo es in seiner klassischen Perfektion Inspiration und zugleich Provokation für den Künstler war. Der „Engel“ besteht aus bearbeitetem, verformtem Stahlblech, unter anderem altes Autoblech und –dächer, das Böhme künstlerisch in etwas Neues verwandelt und damit aufwertet. Dieses Upcycling sowie das Recycling von Abfallmaterial generell implizieren immer auch kunst-, gesellschafts-, kapitalismus- oder konsumkritische Aspekte. Die Verarbeitung von Autowracks ist keine Neuerfindung, aber in Leipzig erschien das Auto (beziehungsweise was von ihm übrig blieb) Anfang der 1990er Jahre, als die Erinnerung an die Mangelware Auto in der DDR noch frisch war, sicher als reizvolles Material. Der Künstler vermag es, dem wenig sinnlichen Schrott eine ästhetische Komponente abzugewinnen, vom Gewaltvollen und der zerstörerischen Kraft der ursprünglichen Verformung geschickt abzulenken und dem Material über seine Figur zu einem neuen Leben zu verhelfen.
"Engel" wurde als Förderankauf des Freistaates Sachsen für den Kunstfonds 1995 erworben.