Vorschaubild des Elementes mit der Inventarnummer DL 2023/1
Rund drei hundert Jahre verborgen in Privatbesitz und nie publiziert, gehört dieses erst jüngst aufgetauchte Prunkschach zu den spektakulären Meisterwerken europäischer Schatzkunst des Barock. Während Silbersockel und Brettschatulle in Augsburg geschaffen wurden, können die Figuren dem sächsischen Bildhauer Paul Heermann (1673–1732) zugeschrieben werden. Dabei handelt es sich um meisterhaft geschnitzte Miniaturen von größter Individualität, die sich zu einem Ensemble von höchster Suggestionskraft zusammenfügen. Sie stellen „europäisch“ und „orientalisch“ gekleidete Personen dar, wobei die Bauern als Soldaten und die Läufer als Herolde wiedergegeben sind. Dabei nutzte der Bildhauer geschickt die durch die unterschiedliche Härte und Struktur von Elfenbein und Ebenholz vorgegebene Bearbeitungsqualität, um den weißen und schwarzen Kontrahenten ihre spezifische Expressivität zu verleihen und dabei beide Parteien gleichrangig zu behandeln.
Beschau- und Meistermarken der Figurensockel verweisen auf den Augsburger Goldschmied Paul Solanier (1635–1724). In dessen Werkstatt entstanden auch die Silbereinlagen der Spielfelder – Sterne in grün gefärbtem Elfenbein bzw. verschlungene Régencerahmen in Schildpatt. Mit Schildpatt wurden zudem die gekehlten Seiten der Brettschatulle furniert, die mit zwei einander gegenüberliegenden Schubladen ausgestattet ist. In den darin enthaltenen Einsätzen sind für jede Figur ausgeführte Mulden eingelassen.
Die schwer lesbare Inschrift auf dem Botenzettel eines der weißen Herold-Läufers trägt den mit einer heißen Nadel in Mikroschrift ausgeführten Schriftzug „Her/man“. Interpretiert man dieses Detail als Verweis auf den Schöpfer der Figuren, so würde es sich hier um das bisher einzige bekannte signierte Schachspiel des Barock handeln. Tatsächlich stehen die Figuren stilistisch und kompositorisch Werken nahe, die für Paul Heermann gesichert sind.
Für die Dresdner Hofkunst des ausgehenden 17. und frühen 18. Jahrhunderts spielten Verbindungen nach Augsburg eine wichtige Rolle. Exemplarisch belegt dies die Jupitersäule im Grünen Gewölbe, für die Balthasar Permoser die Elfenbeingruppe schuf und Johann Andreas Thelot die Silberreliefs am Sockel der Säule. Vertreter der süddeutschen Goldschmiedemetropole standen kontinuierlich mit dem sächsischen Hof in Kontakt, waren auf den Leipziger Messen präsent und pflegten Handelsbeziehungen nach Dresden, was letztlich die Entstehung solch komplexer Werke ermöglichte.
Obwohl das Werk selbst keine Hinweise auf einen Adressaten oder eine Adressatin preisgibt, lassen Kostbarkeit der Materialien und künstlerischer Anspruch nicht daran zweifeln, dass das Schach für ein fürstliches Umfeld bestimmt war. Mit seinem Erwerb für das Grüne Gewölbe zu dessen 300. Geburtstag 2023 gelangt das Kunstwerk in einen idealen Sammlungskontext und schließt eine Lücke, sind doch in den Dresdner Inventaren mindestens drei Schachspiele mit Elfenbein- und Ebenholzfiguren dokumentiert, die heute fehlen.

Der Erwerb des Schachspiels erfolgte durch die Ernst von Siemens Kunststiftung.
Signatur, Bezeichnung, Inschriften
eine Figur (Bote) mit Signatur (?): "Her/mann"
Creditline
Leihgabe der Ernst von Siemens Kunststiftung
Reproduktion
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