Anfänglich beschäftigte die Meissener Porzellanmanufaktur keine eigenen Bildhauer, sondern griff gerade bei figürlichen Modellen auf vorhandene Kleinplastiken, Reliefs oder Medaillen als Vorbilder zurück, um die plastischen Möglichkeiten der neuartigen Materialien zu erproben. Manche Modelle – so auch dieser Putto mit Muschel – wurden zunächst in Böttgersteinzeug und später nochmals in weißem Porzellan ausgeformt, das erst ab 1713 produktionsreif war. Da die Kinderfigur in überlieferten Auflistungen aller Steinzeuge, die im Sommer 1711 erstellt wurden, noch nicht aufgeführt ist, kann dieses Modell erst nach diesem Zeitpunkt in Meissen eingeführt worden sein.
Ein unmittelbares Vorbild für die Figur ist bislang nicht bekannt. Doch da die französische Porzellanmanufaktur in Sèvres Mitte des 18. Jahrhunderts eine sehr ähnliche Statuette als Teil einer ganzen Serie von Kinderfiguren in der Art des flämischen Bildhauers François Duquesnoy (1594–1643) fertigte, ist davon auszugehen, dass auch in diesem Fall auf eine vorhandene Vorlage zurückgegriffen wurde. Entwürfe bekannter Bildhauer und beliebte Figurenmodelle verbreiteten sich mittels Abformungen in Terrakotta, Wachs oder Gips in ganz Europa und fanden auch in Dresden Eingang in die kurfürstliche Kunstkammer. Doch haben sich solche Sammlungen meist verkleinerter Kopien nach Originalwerken in Marmor oder Bronze nur selten erhalten.
Die Palaisnummer auf der Unterseite weist die Figur als Teil der historischen Sammlung Augusts des Starken und Augusts III. im Japanischen Palais aus. (Julia Weber, 2021)