Rodin schuf nicht nur Einzelfiguren, Porträts und zahllose Zeichnungen, sondern immer wieder auch Denkmäler. Zu den wichtigsten Denkmalsentwürfen gehören die „Bürger von Calais“, an denen er im Auftrag der Stadt Calais ab 1885 arbeitete. Es sollte zu Ehren der sechs Patrizier, die nach der Belagerung durch ein englisches Heer 1347 ihre Mitbürger vor dem Tod gerettet hatten, indem sie sich selbst als Opfer anboten, errichtet werden.
Die revolutionäre Konzeption des Denkmals widersprach jeder Tradition, denn Rodin entwickelte sechs gleich große Figuren, die er nebeneinander aufstellte. Zudem verzichtete er bei der endgültigen Aufstellung auch auf die Erhöhung durch einen Sockel, wodurch der Betrachter in das Denkmal einbezogen wird. Wie aus dem „Höllentor“, so entwickelte Rodin auch aus diesem Denkmal selbstständige Werke, die thematisch keine Verbindung mehr zu der Geschichte aus dem Hundertjährigen Krieg aufweisen. So trennte er von den Figuren einzelne Teile ab, wie die Köpfe und Hände, und ließ davon Vergrößerungen oder Verkleinerungen herstellen, die er bisweilen auch in Assemblagen zusammenfügte. Die aus ihrem früheren Zusammenhang herausgelösten Fragmente gewannen so eine neuartige Offenheit der Bedeutung.
Der Kopf des Pierre de Wissant, einer jener sechs Bürger, erfährt im kolossalen Format eine Steigerung an Ausdruck und innerer Bewegtheit, die von jeder illustrativen Aufgabe frei ist. Mit Figurenfragmenten wie diesem begründete Rodin den Subjektivismus in der Skulptur der Moderne. (Autor: Astrid Nielsen, 2018)

1909 Schenkung des Künstlers