Ähnlich den Rückenfiguren in der Malerei der Romantik, die als Vermittler zwischen Betrachter und Landschaft fungieren, ist hier die dunkle Frauenfigur ins Bild gesetzt. Nicht eingebunden in die Natur, steht sie als reflektierende Betrachterin davor. Holzschnittartig sind sowohl der Umriss der Figur als auch das Gesicht in groben, sehr einfachen Formen gezeichnet. Ein motivgleicher Holzschnitt unter demselben Titel weist im Schwarz-Weiß der Licht- und Schattenführung große Übereinstimmung mit dem Gemälde auf.
Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebte Karl Schmidt-Rottluff im holsteinischen Hohwacht an der Ostsee. Hier entstand im Sommer 1914 die auf archaische Aktbilder folgende Werkgruppe der „meditierenden Frauen“. In Dünenlandschaften wandelnd sind die Schwester des Künstlers und ihre Freundin dargestellt. In der Mehrzahl der Gemälde sind zwei Figuren trauernd oder im Dialog einander zugewandt. Die „Frau in den Dünen“ hingegen, „in der das Seherische und Ahnungsvolle am stärksten konzentriert wurde und durch die der Fluß des Geschehens hindurchzugehen scheint“ (Gerhard Wietek, Jahr 2001), steht allein im Bild. Ein Zeitgenosse Schmidt-Rottluffs, Curt Valentiner, ging in der Interpretation dieser Bilder von 1914 noch weiter, er sah in die Frauengestalten eine Ahnung des drohenden Weltkriegs eingeschrieben. (Autorin: Birgit Dalbajewa, 2021)