Oehmes Ölgemälde der verschneiten Straßen in Meißen am Weihnachtsabend ist ein nostalgisches Bild. Es weist Motive auf, die von Caspar David Friedrich kommen, bei Oehme aber zunehmend erzählerisch geworden sind. Im Mann mit Perücke im Vordergrund ist noch eine jener Rückenfiguren zu erkennen, die Friedrich immer wieder als stille Beschauer in seinen Werken zeigt und die oft ganz still und in sich gekehrt der Erhabenheit der Natur gegenübertreten. Wie in Friedrichs Gemälde "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes" reicht sein Blick zu dem fernab strahlenden Gestirn. Der Abendstern ist der einsame, nahezu übersehbar kleine Bezugspunkt für das bedächtige Treiben in der Kleinstadtidylle mit dem Turm der Frauenkirche. Oehme räumt ihm das ganze weite Feld des Himmels ein mit seinen farblichen Nuancen eines noch vom Sonnenuntergang gefärbten Rosa, das zu den intensiven Blautönen der heraufziehenden Nacht reicht und von gräulichen Wolkenschleiern durchzogen ist. In diesen Farbklang stimmen die Kontraste zwischen den gelblich warm erhellten Fenstern und dem kühl weißen Schnee auf der Gasse und den Dächern. Bereits in seinem Bild "Dom im Winter" hatte Oehme diesen Gegensatz eingesetzt. Für Ernst Ferdinand Oehme, der 1820/21 zunächst bei Johan Christian Dahl an der Dresdner Kunstakademie und anschließend bei Caspar David Friedrich studierte, war Meißen in den dreißiger Jahren von besonderer Bedeutung. Hier wohnte der mit ihm befreundete Maler Ludwig Richter, der von 1826 bis 1836 als Lehrer an der Zeichenschule tätig war. Richter erwähnt die von ihm und seiner ganzen Familie herbeigesehnten Besuche Oehmes und Carl Peschels »gewöhnlich bald vor oder nach Weihnachten« in seinen "Lebenserinnerungen eines deutschen Malers" (1885, S. 326). Oehme kannte Richter von seiner eigenen Italienreise 1821 –1825. Auch später noch – 1826 und 1839 haben beide Künstler gemeinsame Wanderungen ins Erzgebirge unternommen.

(Autor/in: Holger Birkholz, 2021)