Im Sommer 1918 reiste Corinth mit seiner Familie erstmals nach Urfeld am Walchensee im oberbayerischen Karwendelgebirge und kaufte – begeistert von der Gebirgslandschaft – ein Grundstück, auf dem ein Holzhaus errichtet wurde. Hier schuf er während seiner häufigen Aufenthalte bis zu seinem Tod etwa 60 Ölgemälde sowie viele Zeichnungen, Aquarelle und Radierungen. Von unterschiedlichen Blickpunkten und zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten aufgenommen, stellt diese Werkgruppe einen Höhepunkt im Schaffen Corinths dar. Auf intensivste Weise verbinden sich seine körperlichen und seelischen Befindlichkeiten mit den Bildern, die – Tagebucheintragungen gleich – sein Leben widerspiegeln. Diese betont subjektive Wahrnehmung reicht über die impressionistische Manier der Wiedergabe wechselnder atmosphärischer Erscheinungen hinaus und gelangt durch einen impulsiven, zuweilen abstrakten Pinselduktus zu expressiv freien Ausdrucksformen.
Das Dresdner Walchensee-Motiv ist von der oberen Serpentine unterhalb der Passhöhe des Kesselbergs aufgenommen, wo der Blick über den See bis zu den gegenüberliegenden grünen Berghängen und den in der Ferne sichtbaren verschneiten Gipfeln des Wettersteingebirges reicht. Die helle Landstraße mit zwei Fußgängern führt in großem Bogen ins Tal hinab und kompositorisch zugleich in die Bildmitte. Damit wird der Blick auf die Bauerngehöfte und das ruhige tiefblaue Wasser des Sees gelenkt. Der große, vielfach mit Grau gebrochene Farbklang wird intensiviert durch die komplementären Kontraste des warmen Rots der Dächer zum satten Grün der Wiesen sowie der gelben und orangefarbigen Akzente zum Blau der Wasseroberfläche. (Autor: Heike Biedermann, 2018)

1920 erworben aus der Galerie Ernst Arnold, Dresden