Oskar Zwintscher gehörte zu den wichtigen Malern der Stilkunst in Dresden um 1900, deren Originalität über regionale Grenzen hinaus in Deutschland früh Anerkennung fand. Geprägt von Neuidealismus und Jugendstil, zugleich aber auch verwurzelt in traditioneller akademischer Ausbildung, überzeugte Zwintscher vor allem als Bildnismaler. Seine aus Meißen stammende Gattin Adele war ihm Muse und Modell. Ihre zarte Gestalt inspirierte ihn zu immer neuen Bildfindungen. Zwintscher entwickelte ihren Typus vom unschuldig jungfräulichen Mädchen zur reifen Frau und Verführerin und visualisierte damit das neue Frauenbild der Zeit. Anregungen hatte er unter anderem von der Kunst der deutschen Renaissance, den englischen Präraffaeliten und Künstlern wie James McNeill Whistler empfangen. Das lebensgroße Porträt der 30-jährigen Adele in elegantem schwarzem Kleid mit Schleierhut und Handschuhen besticht durch seine präzise Ausführung. Ihre schlanke Erscheinung wird durch das schmale Hochformat sowie die vertikalen Linien von Türgliederung und schwarzem Vorhang betont, wobei sich die Raumbühne auf den Teppichstreifen und die Türschwelle reduziert. Der Kontrast von dunkler Kleidung vor weißem Grund und der Verzicht auf räumliche Einbindung des Körpers verstärkt die flächige, schablonenhafte Wirkung, zusätzlich gesteigert durch die goldfarbenen Ornamente auf dem Kleid. Ein Hauch des Geheimnisvollen geht von der Dargestellten aus. Zum Abschied wendet sie den Kopf und blickt mit großen ernsten Augen zum Betrachter. (Autor: Heike Biedermann, 2018)

1904 erworben vom Künstler aus Mitteln der Pröll-Heuer-Stiftung