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Ansicht von Meißen – Blick von der Burg

Zwintscher, Oskar (1870-1916) - Maler
Ort, Datierung
Material und Technik
Abmessungen
95 x 127 cm
Museum
Inventarnummer
Gal.-Nr. 3869
1895 verzeichnet das Meißner Adressbuch Oskar Zwintscher als »Kunstmaler«, wohnhaft unter der Adresse Freiheit Nr. 2 im Burglehnhaus (1), dem ehemaligen Adelsfreihof und Sitz des burggräflichen Vogts, erbaut noch im Renaissance-, erweitert aber im Barockstil. Der siebenstöckige Bau ist prominent im Bild rechts neben der Schlossbrücke zu sehen; dort hatte 1831 bis 1836 auch der spätromantische Maler und Zeichner Ludwig Richter gelebt (2). Erst ab 1900 wohnte Zwintscher mit seiner Frau auf dem Domplatz 8 (3), unmittelbar auf der Albrechtsburg, mit dem weiten Blick vom Burgberg über die Altstadt. Der Künstler malte zumindest diese Ansicht von Meißen 1896 also nicht, wie oft angeben, als Blick vom Fenster seiner Wohnung aus, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach aus einem Fenster des etwas höher gelegenen, 1875 im neogotischen Stil umgebauten, turmartigen Torhauses bzw. des Nachbargebäudes über der im Bild so dominant dargestellten Schlossbrücke (4). Das im Kern spätgotische Meißen, das von der roten Ziegeldeckung der in engen Gassen dicht stehenden Häuser geprägt ist, welche Zwintscher in Ausschnitten ebenso in sorgfältigen Zeichnungen festhielt, bot dem Maler auch Anlass zum Romantisieren und Schweifen in eine idealisierte, ferne Zeit und streckenweise märchenhafte Welt. Mit diesem Großformat aber schuf Zwintscher keinesfalls das Bild einer vergangenen Epoche, sondern, indem er mit der Raumwirkung von Farbe konsequent experimentierte, vielmehr ein sehr modernes, besonderes Stück Malerei. Er schuf aus Einzelformen einen Farbteppich in einem Dreiklang aus Rot, Grün und Braunocker. Verteilt bewirken einzelne, mal heller, mal dunkler hervortretende Pflaster-, Mauer- und Ziegelsteine und der Rot-Grün-Gegensatz einen höchst dekorativen und vitalen Gesamteindruck. Tiefenwirkung wird allein durch die Linearperspektive erzielt; so spannt sich die Schlossbrücke diagonal weit bis zur Bildmitte. Im Einsatz der abstrahierten Farben aber wird weder durch ein illusionistisches Flimmern, noch durch Verläufe hin zu einer kühleren Ferne Perspektive angelegt. Einzelne Farbfelder sind in ungemildertem kräftigen Rot und Grün aneinandergesetzt. Oberhalb des fünfgeschossigen Wohnhauses links am Hohlweg Nr. 3 fließen die zahlreichen kleinen Dächer, kaum durch farbige Konturlinien unterbrochen, zu einem leuchtend roten Feld zusammen. Nicht der naturnahen Farbe ist der Vorrang gegeben, sondern der ornamenthaften Wirkung – so bilden ein Braun im roten Ziegeldach oder ein Rot in den Brückenzinnen Negativformen (welche zeittypisch zum Beispiel auch van de Velde auf seine Weise gern anwendete). Blitzende zeichnerische Momente, etwa die Fensterrahmen in Weiß oder die Fugen am Brückenkopf im Vordergrund, verstärken einen Streueffekt und sorgen zugleich für eine doch wiedererkennbar genaue Zeichnung. Blattwerk ist in gewundener Konturierung vor den Architekturformen und roten Flächen abgesetzt. Die dunkelfarbigen, im Bild hervortretenden Elemente, der Brückenbogen unten, der Turm der Stadtkirche links sowie der Dachreiter der St.-Afra-Kirche ganz rechts oben bilden ein spannungsreiches Dreiecksgefüge und eine kompositorische Klammer. Zwintscher stand mit solcherart Experimenten, die bei seiner Motivik ganz eigen ausfielen (wenn man in Orientierung an Diskussionen um nationale Malereigeschichte so will: kleinteiliger, »deutsch«), in seiner Zeit keinesfalls allein. In Wien gestaltete Gustav Klimt mit flächenhaftem Ornament, in Frankreich hatten die als »Synthetisten« bezeichneten Maler um Paul Gauguin und Paul Sérusier kurz zuvor gleichfalls flächengebunden, mit Farbfeldern und in nicht-naturalistischer Farbgebung gearbeitet und so eine besondere Dekorativität erzielt.
(Birgit Dalbajewa: 2021)

1 Sonntag 2016. Vgl. zum Gemälde auch Majerczyk 2019, S. 57–61.
2 Zuvor, ab 1828, wohnte Richter am Domplatz 13; vgl. Ludwig Richter – Der Maler, hg. v. Gerd Spitzer, Ulrich Bischoff, Ausst.-Kat. SKD, München/Berlin, 2003, S. 295 f.
3 Sonntag 2016.
4 Eine frühere Ansicht von Meißen malte Zwintscher 1895 (Museum der bildenden Künste Leipzig); vgl. Günther 1999, S. 61, Nr. 22.
Signatur, Bezeichnung, Inschriften
Bezeichnet links unten: O. Zwintscher fec.

Besitzer: Professor Hans Unger, Loschwitz; 1973 übernommen aus dem Nachlass Maja Unger (Tochter des Malers), Dresden

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Albertinum Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900
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