In den warm leuchtenden Farben eines dämmernden Tageslichts entfaltet sich vor den Augen des Künstlers ein beeindruckendes Panorama der Ewigen Stadt. Von einer Anhöhe fuhrt der Blick in Richtung Kolosseum, streift davor den Konstantinsbogen, schweift über den Esquilin und reicht bis zu den Erhebungen der Sabinerberge im fernen Hintergrund. Seinen Standort hat der Maler mit dem Pinselstiel im linken unteren Bildrand in die noch frische Farbe eingeritzt: „Palazzo dei Cesari“. Der mittlerweile kaum mehr geläufige Name bezeichnete die antiken Ruinen der Kaiserpaläste auf dem Palatin, einem der sieben Hügel Roms und Zentrum des alten römischen Reiches. Ein vergleichbares Aquarell von Reinhardt mit einem Ausblick auf die Ruinen der Caracalla-Thermen stammt aus dem Jahr 1854.
Über die bereits um 1800 bekannte Praxis der Freilichtmalerei, meist in Gestalt von Ölskizzen, gaben die Ausführungen des Franzosen Pierre-Henri de Valenciennes lehrhaften Aufschluss. Sie war auch in Deutschland schon seit fünfzig Jahren bekannt, als der junge, in Leipzig und Weimar (bei Friedrich Preller d. Ä.) ausgebildete Maler nach Rom reiste. Reinhardt steht für eine jüngere Generation deutscher Landschaftsmaler, die noch in der Romantik wurzelten; in der mit lockerem Pinsel skizzierten Vedute des entdeckungsfreudigen Künstlers zeigt sich eine unbekümmerte Spontaneität, die in seinem weiteren Werdegang jedoch keine Rolle spielen sollte – der direkte Kontakt zum „genius loci“ Roms war als Inspirationsquelle unabdingbar.
(Autor: Andreas Dehmer, 2016)