Vorschaubild des Elementes mit der Inventarnummer OHA 098
Ort, Datierung
Dresden, Japanisches Palais der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 23.3.2023
Inventarnummer
OHA 098
Sprache
Egidio Marzona erläutert die Funktionsweise des im Archiv der Avantgarden (ADA) enthaltenen Rotoreliefs von Marcel Duchamp. Er berichtet von der Auktion, auf der er es erwarb, und spricht über die Bedeutung der Rotoreliefs im Werk von Marcel Duchamp.
Egidio Marzona (1944 Bielefeld) ist Sammler. Sein Archiv der Avantgarden schenkte er 2016 den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Im Archiv der Avantgarden (ADA) gibt es einen Sammlungsbereich zu Marcel Duchamp (1887 Blainville-Crevon, Frankreich - 1968 Neuilly-sur-Seine, Frankreich), darunter ein Rotorelief. Zugleich bildete das Werk von Marcel Duchamp eine wichtige inhaltliche Inspiration für die Entwicklung des ADA.

Zitation:
Egidio Marzona im Gespräch über das Rotorelief von Marcel Duchamp, in: WIR SIND AVANTGARDE! Ein Oral-History-Archiv zum Archiv der Avantgarden - Egidio Marzona (ADA), Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Von Monika Branicka und Pirkko Rathgeber, 2024

Copyright:
© 2024 Archiv der Avantgarden - Egidio Marzona, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Konzept- und Gesamtprojektleitung, Produktionsleitung, beteiligte Protagonistinnen und Protagonisten

© für die abgebildeten Werke:
Marcel Duchamp, Rotorelief, 1965, Kartonscheiben, Offsetdruck, 24 cm, Box 37 x 37 cm, Galleria Schwarz 1965: Association Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Marcel Duchamp, Coffee Mill, 1947, Radierung, 17,5 x 8 cm: Association Marcel Duchamp / VG Bild-Kunst, Bonn 2024; Foto: Herbert Boswank © Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Wir danken allen Inhaber:innen von Rechten an hier gezeigten Werken der bildenden Kunst für die freundliche Genehmigung der Veröffentlichung. Rechteinhaber:innen, die trotz intensiver Recherche nicht ausfindig gemacht werden konnten, sind gebeten, die SKD zu kontaktieren.

#00:00:37#

 

EM: Wir haben hier ein Objekt von Marcel Duchamp, welches ich vor 35 Jahren, also 1988, in New York auf einer Auktion ersteigert habe. Es ist das sogenannte Rotorelief[1], das eigentlich an die Wand montiert sein sollte, und einen Elektromotor enthält, der diese Scheibe in Bewegung setzt, in Rotation. Und die Scheibe wird belegt mit je einem dieser verschiedenen Entwürfe von Marcel Duchamp. #00:01:22#

 

Frage: Könnten Sie dieses Objekt bitte näher erklären? Wie funktioniert es? #00:01:28#

 

EM: Es hat einen sehr primitiven kleinen Elektromotor auf der Rückseite. [zeigt] Und diese Scheibe wird angetrieben. Und auf diese Scheibe wird dann eines der Bilder gelegt [legt eine Bildscheibe auf] und mit einem Magnet festgehalten und dreht sich dann in einer nicht allzu schnellen Geschwindigkeit. #00:02:02#

 

Frage: Auf welcher Auktion haben Sie das Objekt gekauft? #00:02:07#

 

EM: Das war eine Nachlass-Auktion[2] von Andy Warhol[3]. Die Auktion dauerte eine Woche. Es gibt einen, ich weiß nicht, sechs- oder siebenteiligen Katalog[4]. Und ich konnte auf dieser Auktion auch noch etliche andere Kunstwerke erwerben, die aber zum großen Teil heute in der Sammlung der Nationalgalerie in Berlin sind.[5] #00:02:35#

 

Frage: Sie haben einmal erwähnt, dass es eine sehr spezielle Auktion war. Was war das Besondere daran? #00:02:42#

 

EM: Es war ein gesellschaftliches Ereignis. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wer mich dort mitgenommen hat. Es war natürlich ein großes Spektakel und ein großer Andrang. Ich glaube, ich bin damals mitgenommen worden von Richard Feigen[6], dem Galeristen. Ich weiß es aber auch nicht mehr genau. Auf jeden Fall war es, wie gesagt, ein gesellschaftliches Ereignis. Ich saß neben Sylvester Stallone[7], der dort in einem großen, voluminösen Pelzmantel thronte. Und interessant war, dass viele New Yorker aus der Gesellschaft, mit denen Warhol auch wohl Kontakt hatte, ein Souvenir gesucht haben. #00:03:42# Und es waren neben realen Kunstwerken, also wunderbarsten bedeutenden Sachen, auch unglaublich viel Nippes, würden wir sagen. Also eine Kaffeekannensammlung und Stoffpuppen und Steifftiere[8] und ... Also es war ein großes, wirres Durcheinander. Das kann man auch in dem Katalog ziemlich genau nachsehen. Und die meisten, die im Saal waren, waren eben keine wirklichen Kunstsammler, sondern Leute aus der High Society in New York, die sich ein oder mehrere Souvenirs besorgen wollten. Das war für mich natürlich eine große Chance, weil ich wenig Konkurrenz hatte an gleichgesinnten Sammlern, so dass ich dann also auch wirklich herrliche Kunstwerke, wie das Rotorelief und eine Skulptur von Bruce Nauman[9], wunderbare Zeichnungen von Twombly[10] und vieles andere für kleines Geld erwerben konnte. #00:04:55#

 

Frage: Gegen wen haben Sie geboten? #00:05:00#

 

EM: Das weiß ich auch nicht mehr genau. Ich kann mich an andere Auktionen, wo es Bietergefechte gab, erinnern. Aber bei dieser speziellen Auktion kann ich mich nicht mehr genau erinnern, gegen wen ich geboten habe. Aber an eins kann ich mich erinnern: Ich saß ziemlich vorne in den ersten Reihen. Und ganz hinten im Saal saß eine ältere Dame. Und diese ältere Dame ist bei jedem Zuschlag, den ich bekam, aufgestanden und hat applaudiert. Sie war wahrscheinlich auch eine der wenigen Gleichgesinnten sozusagen, die verstanden hatte, was ich da erworben hatte. #00:05:52#

 

Frage: Warum wollten Sie das Kunstwerk ersteigern? #00:05:58#

 

EM: Das Rotorelief spielt im Werk von Duchamp eine ganz große Rolle, weil er sich fast Zeit seines Lebens mit diesen optischen Phänomenen auseinandergesetzt hat. Es gibt neben dem Rotorelief noch viele andere Arbeiten ähnlicher Art. Das Problem der Transformation in eine andere Dimension war ja für ihn durch das Große Glas[11] und viele andere Arbeiten ein wichtiger Bestandteil seines Werkes. #00:06:36#

 

Frage: In den Rotoreliefs geht es um optische Täuschung. Wie arbeitete Duchamp mit dem Motiv der optischen Täuschung? #00:06:43#

 

EM: Optische Täuschungen haben natürlich auch eine große Rolle bei ihm gespielt. Aber das Entscheidende war, glaube ich, immer, die andere Dimension zu erreichen, mit diesen optischen Tricks und Täuschungen. Es sind ja Täuschungen. #00:07:00#

 

Frage: Was meinen Sie mit der anderen Dimension? #00:07:05#

 

EM: Eine andere räumliche Dimension. Das war ja für ihn eigentlich in seinem ganzen Werk eine Konstante, die er immer erreichen wollte. Also die dritte Dimension damals.[12] Heute leben wir natürlich in einer ganz anderen Welt und Zeit. Und die Technik hat sozusagen die pseudowissenschaftliche [markiert Anführungszeichen um wissenschaftliche] Arbeit von Duchamp längst konterkariert. Mit der Realität stehen wir ja heute ganz woanders. #00:07:39#

 

Frage: Welche Rolle spielt das Rotorelief im Gesamtwerk von Duchamp? #00:07:45#

 

EM: Das Werk hatte insofern eine zentrale Rolle im Werk, weil er mit dieser Edition, mit diesem Objekt ein breiteres Publikum in der Kunstszene getroffen hat. Es ist ja eine Edition von hundert Stück[13]. Ich habe gerade zurzeit noch ein weiteres Rotorelief[14], und zwar eine viel frühere Version, oder einen der Prototypen der früheren Version, erworben. Das ist natürlich nicht so ausgereift wie diese technisch für die Zeit relativ perfekte Arbeit. Das ist wesentlich primitiver. Also es gibt hier keine Metallscheibe, sondern einen Drahtkorb, wo die Rotoreliefs notdürftig befestigt werden. Diese Arbeit besitze ich zurzeit, also ich habe sie vor einiger Zeit erworben, und sie steht also auch zur Verfügung. #00:08:52#

 

Frage: Wo haben Sie diesen Prototyp, von dem Sie gerade erzählen, entdeckt?   #00:08:57#

 

EM: In Mailand hing das seit ich weiß nicht siebzig Jahren an der Wand und war immer noch funktionsfähig. Und dann, kurz danach [nach dem Erwerb jenes Protoyps] waren wir in Frankfurt in der Duchamp-Ausstellung[15], wo man einen ganzen Raum nur mit Rotoreliefs ausgestattet hat. Da bin ich aber schnell geflüchtet. [lächelt] #00:09:35#

 

Frage: Die Darstellungsweise, die wir in diesem Rotorelief sehen, hat Duchamp immer wieder genutzt. In der Sammlung des ADA könnte man fast schon die Genese dieses Motivs rekonstruieren, ausgehend von einer frühen Arbeit wie Coffee Mill. Können Sie etwas dazu sagen?  #00:09:47#

 

EM: Um den Stand des Projektes, also Rotorelief oder die Beschäftigung mit optischen Reizen oder optischen Problemen im Werk von Marcel Duchamp darzustellen, spielt das Rotorelief natürlich eine zentrale Rolle. Aber Sie haben recht – das spiegelt sich ja auch im Archiv wider –[16], dass zahlreiche andere Versuche und Projekte von Duchamp auch im Archiv vertreten sind. Und ich habe gerade in letzter Zeit – das ist noch nicht ins Archiv integriert – aus dem Nachlass von Hans Richter[17] sehr viele Fotos und Zeichnungen und Manuskripte erworben, die dieses Thema also noch weiter verdichten und sehr schön illustrieren[18]. #00:10:51#

 

 

Sachindex

Auktion  3

Optische Täuschung  4, 5

 

Personen

Feigen, Richard L.  2

Nauman, Bruce  3

Richter, Hans  5

Stallone, Sylvester  2

Twombly, Cy  3

Warhol, Andy  2, 3

 

Orte und Länder

Frankfurt am Main  4

Mailand  4

New York  3

 

Institutionen (Museen, Galerien, Verlage, Unternehmen …)

Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main  4

Staatliche Museen zu Berlin

Museum Hamburger Bahnhof  2

 

Künstlerische Werke

Duchamp, Marcel

Coffee Mill, 1947, Radierung  6

Die Neuvermählte/Braut wird von ihren Junggesellen entkleidet, sogar (oder

Großes Glas) | The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even (The Large Glass) | La Mariée mise à nu par ses célibataires, même (ou

Le grand verre), 1915–1923  4

Rotorelief, 1965  2, 3, 4, 5

 

Ausstellungen

Marcel Duchamp, Ausstellung, Frankfurt am Main, Museum für Moderne Kunst, 2. April – 3. Oktober 2022  4

 

Bücher, Publikationen, Zeitschriften

Sotheby’s

The Andy Warhol Collection, 1988  2

 

 

[1] Marcel Duchamp: Rotorelief, Ex. 86/150, 1965 (https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/3492899)

[2] The Andy Warhol Estate, New York, Sotheby’s, 23. April – 3. Mai 1988

[3] Andy Warhol (1928 Pittsburgh, PA, USA als Andrew Warhola Jr. – 1987 New York)

[4] The Andy Warhol Collection, New York: Sotheby’s 1988, sechs Bände

[5] Die Sammlung Marzona in den Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist zwischen Hamburger Bahnhof Nationalgalerie der Gegenwart, Kunstbibliothek und Kupferstichkabinett verteilt. (Vgl. https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/hamburger-bahnhof/sammeln-forschen/sammlung/)

[6] Richard Lee Feigen (1930 Chicago, IL, USA – 2021 Mount Kisco, NY, USA)

[7] Sylvester Stallone (1946 New York)

[8] Steifftiere sind Stofftiere der Marke Steiff.

[9] Bruce Nauman (1941 Fort Wayne, IN, USA)

[10] Cy Twombly (1928 Lexington, VA, USA als Edwin Parker Twombly Jr. – 2011 Rom)

[11] Marcel Duchamp: The Large Glass (2. Zustand) Ex. 30/30, 1965 (https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/3949427)

[12] Vermutlich ist – nach den drei Dimensionen des Raums sowie der der Zeit – eine fünfte Dimension gemeint.

[13] Die Edition umfasst 150 Exemplare.

[14] Marcel Duchamp: Rotoreliefs, 1959/60, 40 x 40 x 3 cm, Edition Mat, Nr. 12/00; Catalogue Raisonné, Schwarz 441/b

[15] Marcel Duchamp, Ausstellung, Frankfurt am Main, Museum für Moderne Kunst, 2. April – 3. Oktober 2022 https://www.mmk.art/de/whats-on/marcel-duchamp

[16] Vgl. Marcel Duchamp: Coffee Mill, 1947 (https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/3949198)

[17] Hans Richter (1988 Berlin als Johannes Siegfried Richter – 1976 Minusio, Schweiz)

[18] Die Objekte sind enthalten im Nachlass Hans Richter im ADA.

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