Die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden besitzt mit über 2400 Exponaten im Bereich Theatrum mundi die vermutlich größte Sammlung dieser Art weltweit. Da die wertvollen historischen Figuren heute nicht mehr in Bewegung gezeigt werden, um sie nicht zu beschädigen, wurde in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft und finanziell gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Medien und Kultur im Rahmen des Projekts Museum4punkt0 eine Szene digital rekonstruiert.

„AGRA.
Residenz der indischen Großmogulen mit dem prachtvollen Grabdenkmale der Kaiserin.“


Aber was ist eigentlich ein Theatrum mundi oder Welttheater? Im späten 19. Jahrhundert hätte man diese Frage nicht stellen müssen. Die meisten Menschen hatten es selbst auf einem Jahrmarkt oder in einem Theatersaal erlebt.
In einem Theatrum mundi werden perspektivische Ansichten von Landschaften und Städten gezeigt, belebt durch sich veränderndes Licht und sich bewegende Menschen, Tiere und Fahrzeuge. Grundidee der Aufführung ist die perfekte Illusion, die Schaffung einer künstlichen Welt. Die Figuren aus Pappe, Holz oder Blech mit einer Höhe von gewöhnlich zehn bis 40 Zentimetern wurden auf eine von meist sechs hintereinander angeordneten Schienen gesetzt und durch ein sich darin drehendes Laufband mit Kurbeln bewegt. Die Kulissen waren überwiegend aus Pappe hergestellt, in ihren Umrissen ausgeschnitten und illusionistisch bemalt. Manche dieser Theater hatten eine Breite von bis zu fünf Metern und konnten so gleichzeitig von bis zu 500 Personen im Zuschauerraum gut betrachtet werden. Entstanden in der Hochzeit des Barock, erfreuten sich diese Theater bis um 1900 in ganz Europa einer großen Beliebtheit. Der Gründer der Dresdner Puppentheatersammlung, Otto Link (1888–1959), nannte sie „Die Wochenschau des 19. Jahrhunderts “. Neben Genreszenen mit Sommer- und Winterlandschaften, Volksfesten und berühmten Städten wurden gern Naturkatastrophen und insbesondere Land- und Seeschlachten gezeigt. Nur mit der Aktualität haperte es ein wenig, da ja zunächst Kulissen und passende Figuren hergestellt werden mussten. Dafür wurden gewöhnlich mehrere Wochen benötigt, wenn man auf ein aktuelles Ereignis reagieren wollte.
Erfinder des Theatrum mundi war vermutlich der kaiserlich-privilegierte Maschinenmeister Johann Samuel Brede aus Hamburg. Über seinen Werdegang wissen wir wenig. Erstmals ist er 1710 zur Messe in Frankfurt am Main nachweisbar. Zur Leipziger Michaelismesse 1721 gastierte er in Zotens Hof in der Nicolaistraße, anschließend im Neustädter Gewandhaus in Dresden. Nach eigenen Angaben hatte er zuvor ganz Westeuropa bereist.
1722 war Brede in Breslau und reiste von dort nach Leipzig zur Michaelismesse, zur Ostermesse 1723 nach Frankfurt am Main und weiter nach Köln und Hamburg, wo er mit seiner „Weld-Machine“ im Oktober des Jahres letztmalig nachweisbar ist. Die Witwe Anna Maria Brede gastierte 1732 in Berlin (auf dem Rathaus) und Dresden (im Breyhahn-Haus), schließlich 1733 in Wien. Hier wird das Unternehmen erstmals als Theatrum mundi bezeichnet. Dann verlieren sich seine Spuren.

Brede fand zahlreiche Nachahmer. Die Kenntnis des Theatrum mundi verbreitete sich immer mehr, insbesondere da viele Marionettenspieler es in ihr Bühnenprogramm als Nachspiel aufnahmen. Wer die Exzentrik und damit die Binnenbewegung der Figuren bei den Welttheatern ins Spiel brachte, ist unbekannt. Um 1750 wurden die Figuren auf Räder gestellt und an diesen exzentrisch, also außerhalb der Achse, stärkere Drähte befestigt, die aus der Drehbewegung eine Vor- und Rückwärtsbewegung machten. Dünne Drähte übertrugen diese Bewegungen auf Arme und Beine. Bald war diese Innovation bei allen Bühnen Standard. Der sicherlich bekannteste Künstler in Deutschland, der sich mit der Anfertigung von Theatrum-mundi-Szenen beschäftigte, war der Architekt und Künstler Karl Friedrich Schinkel (1781-1841).

Mit dem Ende der Befreiungskriege begann die große Zeit der Zimmerpanoramen und des Welttheaters. Menschen aus künstlerischen, handwerklichen und technischen Berufen, aber auch viele ehemalige Berufssoldaten widmeten sich ihm. Als Hauptursache dürfte neben der wirtschaftlich prekären Situation der Unternehmer vor allem das Bedürfnis der Menschen nach anschaulicher Information und sinnlichem Erleben gewesen sein.

In den 1840er-Jahren kamen in Deutschland „Mechanische Theater“ nach französischem Vorbild auf, die sich durch ein vielfältiges Programm mit Theatrum mundi, Pseudo-Automaten, Projektionskünsten und manchmal auch Solomarionetten oder Zauberkunststücken auszeichneten. Allerdings wurde gewöhnlich jeden Tag dasselbe Programm gezeigt. Die Theater gastierten überwiegend auf Jahrmärkten mit großem Publikumsverkehr. Sie reisten mit mobilen Theaterbuden. Aufgebaut wurden diese von Gehilfen, die zugleich auch für die Musik zuständig waren. Den ganzen Tag über gab es Vorstellungen, weshalb man die Figuren nicht mehr aus Pappe oder Holz, sondern aus starkem Eisenblech fertigte, da sie sonst die ständigen Belastungen nicht ausgehalten hätten. Die Fassaden dieser Schaubuden waren die prächtigsten der Messen und Märkte. Um 1900 endete diese Form des Schauspiels, als mit dem Aufkommen der Kinematografie die Welttheater aus den Schaubuden entfernt wurden und an ihre Stelle Filmprojektoren und Leinwände traten.
Nur auf der Marionettenbühne erfreuten sich die Welttheater weiterhin großer Beliebtheit. Von mehr als 150 Marionettentheatern, die um 1900 in Sachsen reisten, hatte etwa jedes vierte das Theatrum mundi als Nachspiel in seinem Programm. In der Frühzeit der DDR wurden die traditionellen Marionettenbühnen weitgehend verboten, weil sie in einer aufzubauenden sozialistischen Gesellschaft als nicht mehr zeitgemäß betrachtet wurden. Als Privatunternehmen waren sie außerdem kaum vom Staat zu überwachen. Die letzte Theatrum-mundi-Vorstellung mit der Szene „Die Hochwasserkatastrophe im Plauenschen Grunde 1897“ wurde wahrscheinlich am 4. Juni 1952 von Heinrich Apel Junior (1895–1975) in Dresden gezeigt. Damit endete eine lange Theatertradition.

Das Thiemersche Theatrum mundi

Das Thiemersche Theatrum mundi hat eine wechselvolle Geschichte. Es wurde 1829 von Christian August Thiemer gegründet. Thiemer wurde um 1780 in Zschopau geboren und erlernte das Posamentierer-Handwerk. Als Posamente bezeichnete man Verzierungen an Kleidungsstücken, die meist aus edlen Metallen gefertigt wurden. Von 1798 bis 1807 diente Thiemer im sächsischen Feld-Artillerie Corps, zuletzt im Rang eines Unterkanoniers. 1807 wurde er wegen Blutspeiens und starker Abmagerung (Kachexie), als Invalide aus dem Dienst entlassen. Die nächsten zwei Jahre lebte er in Freiberg, dann ab 1809 in Dresden als Goldspinner und Goldsticker. Bis 1824 war seine Familie auf zehn Kinder angewachsen, von denen die ältesten schon volljährig waren. Nach den Befreiungskriegen verschlechterte sich die Situation in seinem Gewerbe erheblich. Er musste für die Materialien, darunter Gold und Silber, in Vorschuss gehen. Die Zahlungsmoral seiner Kunden wurde aber immer problematiscjer. Hinzu kam eine Verschlechterung seiner Sehfähigkeit, die besonders bei den feineren Stickereien benötigt wurde. Er begann als Gehilfe bei einem Marionettenspieler und baute sich 1824 ein eigenes Marionettentheater. Als das Augenlicht weiter nachließ, musste Thiemer 1829 auch dieses Gewerbe aufgeben, weil er die Textbücher kaum noch lesen konnte. Er verkaufte die Marionettenbühne an seinen Gehilfen Constantin Bonneschky (1806-1841) und begann mit dem Betrieb eines Theatrum mundi. Als einziges Reminiszenz an die alte Bühne blieben Verwandlungsmarionetten im Nachspiel erhalten.

August Thiemer bereiste den ganzen deutschsprachigen Raum und starb – vermutlich auf Reisen – zwischen 1840 und 1843. Die Witwe setzte gemeinsam mit fünf ihrer Söhne den Reisebetrieb fort. 1847 schied Otto Thiemer (1866), einer der ältesten Söhne, aus der Bühne aus und schuf sich ein eigenes Theatrum mundi. Er war seit 1825 stets mit der elterlichen Bühne gereist. Als weitere Söhne machten sich in den 1850er Jahren Albin Thiemer und Balduin Thiemer selbständig. Das Theater der Witwe Thiemer wurde 1853 von Balduin Thiemer zum Verkauf angeboten. Ob es zum Verkauf kam oder ob Albin oder Balduin das elterliche Geschäft fortsetzten, ist unklar. Balduin Bille hatte vor 1825 ein Studium der Malerei an der Königlich Sächsischen Akademie der Künste in Dresden aufgenommen und dürfte auch für seine Brüder gemalt haben. Während Albin Thiemer nur in den 1850er Jahren mit seinem Theater nachweisbar ist, reiste Balduin Bille bis 1878 überwiegend in Sachsen. Sein Theater wurde allerdings 1862 bei einem Brand in Altenberg zerstört. Spätestens 1865 war es wiederhergestellt, so dass er es öffentlich zeigen konnte.

Otto Thiemer reiste in den 1860er Jahren im Königreich Böhmen, wo er auch 1866 während eines Gastspiels in Daula starb. Als Geschäftsführer wirkte danach Friedrich Gierke (1823 Güstrow-1899 Bautzen) an der Bühne, der das Theater 1873 auch unter seinem eigenen Namen fortsetzte. Allerdings begann die Witwe Auguste Thiemer 1874 wieder unter eigenem Namen zu reisen. 1875 wurde das Theater noch kurz von Richard Thiemer (vermutlich ihrem Sohn) fortgeführt. Die Bühne müsste also zwischen Auguste Thiemer und Gierke geteilt worden sein. Balduin Thiemer grenzte sich in seinen Annoncen deutlich von Gierke ab.

Friedrich Gierke reiste in den nächsten Jahren wie zuvor auch Otto Thiemer hautsächlich im Habsburgerreich. Nachdem sein Sohn Oskar Gierke (1863 Dresden-1925 Graz) sich selbständig gemacht hatte, verkaufte Friedrich Gierke sein Theatrum mundi an den Marionettenspieler Richard Koppe. Er gründete in Bautzen eine Werkstatt für mechanische Figuren, die er bis zu seinem Tode betrieb. Oskar Gierkes Theater wurde 1900 in Ljubljana (Laibach) in Slowenien durch Feuer zerstört. Er und seine Nachkommen betrieben dann in Graz in Österreich ein stationäres Kino. Der Marionettenspieler Richard Koppe begründete um 1910 in Chemnitz-Siegmar ebenfalls ein stationäres Kino. Er bot das Theatrum mundi wiederholt zum Verkauf an, konnte es aber erst um 1925 an den Marionettenspieler Curt Kressig (1893-1970) verkaufen. Curt Kressig betrieb sein Marionettentheater bis zu Beginn der 1950er Jahre, als er in der DDR wie viele andere traditionelle Marionettenspieler Berufsverbot erhielt. Die komplette Bühne wurde eingelagert und das Theatrum mundi nach seinem Tode an die Puppentheatersammlung verkauft.

Durch die vielen Besitzerwechsel und die lange Verwendung der Figuren und Bühnenbilder ist es heute sehr schwer, einzelne Objekte bestimmten Bühnen und Zeiten zuzuordnen. Die Figuren sind spätestens in der Direktionszeit Gierke entstanden, da bei Reparaturen entsprechende Eintrittskarten aus Pappe verarbeitet wurden. Ob alle oder einzelne Figuren aber auch von Otto Thiemer oder seinem Vater August Thiemer stammen, bleibt ungewiss. An der Technik und den Abmessungen hat sich aber seit 1829 nichts mehr geändert. Die vorhandenen Bühnenbilder sind auf der Rückseite teilweise mit dem Namen Arno Schneider versehen. Aus welcher Zeit sie stammen, kann nicht gesagt werden. Sie sind grob dem 19. Jahrhundert zuzuordnen. Arno Schneider könnte für Otto Thiemer, Friedrich Gierke oder sogar erst Richard Koppe gearbeitet haben.

Die Szene „Agra“ wurde nachweislich 1844 bis 1852 von der Witwe Thiemer gezeigt. Auch ihre Söhne Otto und Balduin hatten „Agra“ in ihrem Programm, ebenso ab 1873 Gierke. Bei anderen Welttheatern ist das Thema nicht nachweisbar. Der vollständige Ablauf der Szene „Agra“ ist einzig durch einen Theaterzettel von 1887 überliefert. Dort heißt es: „Der Reisende Forst schildert dieses indische Mausoleum als eine der großartigsten Baulichkeiten der Welt, welches, aus reinem Marmor gebaut, volle 5 Millionen gekostet hat. Diese Vorstellung zeigt nicht nur diesen prächtigen Bau, sondern auch dessen Umgebung, die Stadt mit ihren zahlreichen Thürmen, Moscheen und vergoldeten Zinnen, umgeben von Palmen und Melonenbäumen. Die Landschaft ist interessant belebt. Der kunstreiche Mechanismus der kleinen mechanischen Figuren überrascht jeden der Anwesenden. Es kommen alle dortigen Thiere zum Vorschein: Schlangen, Bären, Kameele, Giraffen, Elephanten, deren natürliche n Bewegungen stets Lob ernten. Die Vorstellung endigt mit dem prachtvollen Leichenzuge der Kaiserin in das prächtig beleuchtete Mausoleum. “ Die Szene, die etwa zehn Minuten gespielt wurde, führt uns einen ganzen Tag in der indischen Stadt vor Augen, belebt durch die Figuren, Musik, Geräusche und das sich im Tagesverlauf verändernde Licht. Einer der Besitzer verkündete: „und kann ich dieses Programm besonders Damen und Familien empfehlen, da hiebei nicht geschossen wird “.

Lars Rebehn

Literatur
Lars Rebehn: Das Theatrum mundi oder: Die Welt im Kleinen, in: Peter Plaßmeyer, Hagen Schönrich und Igor A. Jenzen (Hg.): Der Schlüssel zum Leben. 500 Jahre mechanische Figurenautomaten, Dresden 2022, S. 130-139.

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